Anekdoten und andere Begebenheiten
*) mit freundlicher Erlaubnis von Herrn Jürgen Asschenfeldt entnommen aus: Carl von der Osten-Fabeck "Erinnerungen"; ISBN 978-3-8391-5628-5
Der Fenstersturz
Die Tigerjagd *)
Die Suche nach dem Bootsmann *)
Winter in Tianjin *)
Der Ausflug nordwestlich über Land *)
Die Operation *)
Eisschwimmen in der Oker
Die Turnfahrt in den Harz
Der Fenstersturz
Das alte Schulgebäude, die sogenannte Kommisse, ist in Wolfenbüttel noch immer erhalten. Wer dort vorbeikommt, der achte bitte auf die Fenster mit dem gemauerten Sims hoch über dem Wasser.
Damals durften in China nur die sogenannten Vertragshäfen, die „treaty ports“, von
fremden Schiffen angelaufen werden. Es waren Scha tou (Swatau), Amoy, Futschau
Wentschau, Ningpo, Nanking, Shanghai, Hankau am oberen Yangtse, Tientsien und
Shan hai kwan am Anfang der chinesischen Mauer. In diesen Häfen waren deutsche
Consuln ansässig, in Shanghai ein Generalkonsul. In Swatau residierte Herr Iwo Streich, ein besonders netter, jovialer und gastfreier älterer Herr, ein früherer preußischer Offizier. Mit ihm hatten sich unser Schiffsarzt Dr. Paulun und ich sehr angefreundet. Paulun und ich gingen fast immer zusammen an Land, machten weite Touren und lernten so Land, Leute und ihre Sitten sehr gut kennen. Er war ein ausgezeichneter Arzt und Chirurg, der später ganz in China blieb und da eine hervorragende Carrière machte. Paulun und ich waren oft bei Iwo Streich und klönten mit ihm bei Whisky-Soda oder einem Pülleken. Er war ein besonders großer Nimrod (Jäger), wie wir beide auch.
Nun erzählte er uns, dass ein Tiger die Frau des
alten Mannes beim Holzsammeln im Dschungel, dicht bei Swatau, gerissen
und fast ganz aufgefressen habe. Er, der alte Chinese, der die Überreste
seiner Frau gefunden habe, habe um etwas Strychnin gebeten, womit er die
Überreste seiner Frau vergiften wollte, um des Tigers habhaft zu werden.
Streich stellte uns anheim, am nächsten Tag zu ihm zu kommen, um den
weiteren Verlauf der Dinge zu erfahren. Er riet uns nochmals von der
Jagd ab, aber ohne Erfolg.
Am nächsten Tag gingen wir früh los, jeder mit einem Kuli als Träger für die Jagdbeute. Wir hatten schon eine ganze Menge Fasanen geschossen, da ruft mit einem Mal Paulun, der ca. 20 Schritt von mir entfernt war: „Osten, Osten!“ Ich hin und sehe ihn im Anschlag auf irgendwas, da sehe ich einen mächtigen Tiger, der auf höchstens 25 Schritt breitseit steht und mit dem Schwanz wedelt. Ich sagte schnell, „Mensch, wenn Sie den mit Fasanenschrot kitzeln, frißt er uns beide auf!“ Paulun setzte ab, und der Tiger fasste sich mit der rechten Pfote nach der Stirn, als ob er sagen wollte „Kinder, Ihr seit ja ganz verrückt“ und trollte langsam ab. Er war besonders wohlbeleibt. Unsere Chinesen hatten schleunigst das Weite gesucht, brachten aber am nächsten Tag die Fasanen auf den „Iltis“, sich damit entschuldigend, dass sie eine große Familie zu ernähren hätten. Paulun und ich machten uns auf den Weg zu Iwo Streich und berichteten ihm unser Erlebnis.
Am nächsten Tag waren wir auch wieder bei ihm, da erschien wieder der alte, in so tragischer Weise um seine Frau gebrachte Chinese, in vergnügter Stimmung. Er berichtet Streich, dass er die Überreste seiner Frau, den Kopf und einen Arm sehr stark mit Strychnin bestrichen und sich dann in der Nähe in der Nacht auf einen Baum verfügt habe. Der Tiger sei schließlich gekommen, hätte tüchtig gefressen und habe sich dann entfernt. Dann habe er entsetzliches Stöhnen und schließlich starkes Schlagen gehört. Als das aufgehört habe, sei er von seinem Baum geklettert und fand den verendeten Tiger, ein besonders starkes Männchen. Er habe sich Hilfe geholt, mit der er den Tiger aus der Decke geschlagen habe. Diese habe er für 15 Dollar verkauft und gleich für 10 Dollar eine nette, junge Frau gekauft; - die aufgefressene sei ja schon alt gewesen - und wolle nun für die übrig gebliebenen 5 Dollar eine große Hochzeit geben, wozu er Streich als den indirekten Stifter des Glücks einlüde. Dieser Tiger war bestimmt unser Freund, der sich so voll gefressen hatte und deshalb so friedlich zu uns war.
Die Suche nach dem Bootsmann *)
Wir bekamen Order, einen
Winter über in Tientsin zu liegen, weil die
Als der Peiho zugefroren
war, wurden Schlittschuhe besorgt. Gleich am 1. Tag gab es beim
Schlittschuhlaufen eine Mordskeilerei zwischen unseren und den
französischen Matrosen, die erheblich den Kürzeren zogen. Da kamen die
Kommandanten überein, dass wir vom „Iltis“ an den ungeraden, die
Franzosen an den geraden Tagen des Monats den Peiho für den Eissport
frei haben sollten. Zu einem Verkehr zwischen uns und den französischen
Offizieren kam es nicht.
Schlimm waren die
gefürchteten Sandstürme, die aus der Wüste Gobi unvorstellbar viel, ganz
feinen gelben Sand brachten, der in jede Ritze, in jeden Schrank drang,
sich auf die Atmungsorgane legte, alle Speisen verdarb,
Augenentzündungen hervorrief und 3 Tage und Nächte mit furchtbarer
Heftigkeit wütete. – Wir hatten viel netten geselligen Verkehr an Land
und besuchten die Clubs eifrig. Interessant waren die großen Thee-Karawanen,
die von Tientsin bis Nischni-Nowgorod mit Kamelen durchgeführt wurden.
Es war allgemeine Ansicht, dass der Karawanenthee der beste sei. Die
riesigen Kamele mit ihren 2 Höckern und ihrem dicken Wollpelz – nicht zu
verwechseln mit den einhöckrigen Dromedars – sowie ihren, in große Pelze
gehüllten Führer machten einen imposanten Eindruck, besonders, wenn so
eine Karawane hoch bepackt mit Theekisten und Ballen startete. Die
Chinesen kennen keine Handschuhe. Stattdessen haben ihre Winterjacken so
lange Ärmel, dass sie über die Fingerspitzen reichen, wodurch sie immer
warme Hände haben. Wenn es ganz toll mit der Kälte ist, stecken sie die
Ärmel zusammen und haben so eine Art Muff. Sie bereiten ihren Thee so
zu, dass sie kochendes Wasser über die Blätter gießen, den Thee also
nicht „ziehen“
Der Ausflug nordwestlich über Land *)
Um Land und Leute kennen zu lernen, nahmen Paulun und ich 14 Tage Urlaub
für einen Überlandritt über Peking nordwärts, Richtung Wüste Gobi. Es
war barbarisch
In Tientsin bekam ich
eines Tages ganz wahnsinnige Schmerzen in der linken Seite unterhalb der
Rippen, so dass ich zusammenbrach. Paulun beförderte mich schnellstens
ins Hospital. Die 3 englischen Ärzte erklärten es als „Myositis“, eine
furchtbar schmerzhafte Vereiterung innerer Muskeln durch Infektion.
Bisher sei noch kein Europäer damit durchgekommen, und nur wenige
Chinesen hätten es überstanden. Eine Operation sei vollkommen
hoffnungslos. Paulun erklärte, sie trotzdem riskieren zu wollen, bat
mich um mein Einverständnis und erklärte offen und ehrlich, dass kaum
Hoffnung bestände, mich durchzubringen. Ich bat ihn, auf jeden Fall zu
operieren. Paulun tat es unter Assistenz der 3 Ärzte. Er kam erst am 2.0Tag
an den ganz tief liegenden Eiterherd und rettete mir das Leben zum
Erstaunen, aber auch zur größten Anerkennung der 3 englischen Ärzte.
Paulun bekam einen guten
Ruf als ausgezeichneter Chirurg an der ganzen Küste von Singapur bis
Wladiwostok, ganz besonders noch, als er einer hochgestellten englischen
Dame durch eine schwere, aber geschickte Operation auch das Leben
rettete; sie war sehr wohlhabend und verehrte Paulun eine besonders
wertvolle medizinische Bibliothek aus Dankbarkeit.
Als meine Narbe, wenigstens nach meiner Ansicht, schön zugeheilt war, besuchte mich eine gute Bekannte, Frau Richter, deren Mann als preußischer Major chinesische Truppen ausbildete. Sie war eine große Reiterin und erzählte, dass sie am Nachmittag ein neues Pferd einreiten würde und bedauerte, dass ich nicht dabei sein könne. Ich sagte ihr, dass ich hinkäme, worauf sie mich für übergeschnappt erklärte. Sowie sie fort war, ließ ich mir von meinem Burschen heimlich meinen Reitanzug vom „Iltis“ holen und mein Pferd gesattelt hinbringen. Es ging alles soweit gut, nachdem Frau Richter sich von ihrem Erstaunen erholt hatte. Aber als sie eine niedrige Hürde nahm, refusierte mein Pferd und ich flog in hohem Bogen in den Dreck, wobei die Narbe wieder aufriss. Ich kroch reumütig in mein Körbchen im Hospital zurück. Die dann folgende Abreibung von den 3 Ärzten und Paulun, vom Kommandanten, meinen Messekameraden und Frau Richter waren verheerend.
Eisschwimmen in der Oker